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" Die Pflanzenwelt ist eine Sphäre ewiger Gegenwart, die in ihrem ständigen Wachsen, Werden und Vergehen
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umschließt und auf den zyklischen Charakter von Zeit verweist. "

Anselma Murswiek

Amrei Keul
über Anselma Murswiek I Katalogtext In Situ Paradise I 1. Biennale Lindau

Anselma Murswiek widmet sich in ihrer Malerei üppig ausdehnenden Pflanzenwelten. Auf großen Formaten drängen Gewächse bis über den Bildrand, wachsen manchmal auf einer nächsten Leinwand weiter und breiten sich bisweilen über ganze Wände aus. Das Randlose und Ausschnitthafte ist ein Grundprinzip in ihren Arbeiten. Wir sehen keine abgeschlossenen Pflanzenformen, immer ist da diese Andeutung eines unendlich erweiterbaren, weiter wachsenden Pflanzendickichts außerhalb unseres Sichtfeldes. Für die Künstlerin ist es die vitale und intakte Darstellung von dem, was wir zu verlieren drohen und an was wir uns in nicht allzu ferner Zukunft nur mehr erinnern werden wie an einen fernen Traum. Besonders in Zeiten des Klimawandels und der immer größeren Belastung unseres Ökosystems nicht zuletzt infolge der fortschreitenden Urbanisierung und Technisierung, wirken Murswieks Gemälde wie ein Gegenimpuls der Natur. Die realistisch gehaltenen, leicht in Übergröße gemalten Gewächse lassen uns klein werden und geben uns das Gefühl, dass wir nur ein verschwindender Teil in einem unerschöpflichen Naturraum sind. 

Bereits während ihres Studiums entwickelte die Künstlerin ein ausgeprägtes Interesse für historische Techniken und die altmeisterliche Präzision. Meist sind es hiesige Pflanzen aus Vorgärten oder Parkanlagen, die sie als Motive wählt. Ob Lorbeer, Seerosen oder Hortensien – sie sind uns bekannt und doch fasziniert uns die Vollkommenheit jedes Blattes, jeder Blüte.
Trotz der konsequenten Wahl eines nahen Bildausschnitts wohnt Murswieks Arbeiten stets eine unergründliche Tiefe inne. So deutet sich hinter dem Pflanzenwuchs eine geheimnisvolle, den Betrachtenden verborgene Welt an. Was befindet sich dahinter? Vielleicht das Paradies?


 

Florian L. Arnold I Kunstwissenschaftler
über Anselma Murswiek

Bilder einer immer im Wandel begriffenen Natur zeigen uns Anselma Murswieks Gemälde - ein wildes Wuchern, ein Ausfüllen und beinahe Sprengen des Bildformats, das ein wenig an die Seerosen Monets erinnert, aber diesen Eindruck um die Komponente einer sachten Bedrohlichkeit erweitert. Denn die wild wuchernden Pflanzen, die den Bildraum restlos einnehmen, zeigen auch die Macht und Kraft der Natur, die menschliche Spuren förmlich hinwegsprengen kann - denken wir nur daran, wie schnell Pflanzen sich Ruinen bemächtigen, wie ihre Wurzeln Mauerwerk und anderes aufknacken. Man denkt bei den Seerosen, Lorbeerblätterwäldern oder Rhododendren Murswieks an eine Urkraft, die sich gern auch über mehrere Leinwände hinweg fortsetzen kann (und in den Gedanken der Betrachter dann unendlich weiterwuchert). Es wäre bedauerlich, hier nach botanisch korrekten Darstellungen zu suchen, diese gar zu fordern, denn die Malerin kann uns so viel mehr anbieten - indem sie im Malprozess eine, wie sie sagt, „Expedition ins Unbekannte“ aufnimmt und sich dabei von botanischen Gesetzmäßigkeiten löst. Hier geht es um Kunst, um die Malerei, und entsprechend also um das Beobachten; das Wachsen der Pflanzen unterm Malwerkzeug ist also ein malerisches Nachspüren der Wirklichkeit und zugleich ein Überhöhen und Interpretieren dieser Wirklichkeit, die natürlich für jeden Betrachter eine andere ist. Manch einer sieht in diesen Bildern etwas ganz Konkretes, Greifbares, vielleicht sogar den eigenen heimischen Garten - - ein anderer eher einen Raum des Möglichen, eine bereits in Gang gesetzte Evolution, die neue Formen erfindet. Einen „unendlichen Garten“ - so der Titel einer Werkserie - schafft Murswiek, indem sie Stofflichkeiten mit subtiler Raffinesse wiedergibt, man spürt, ob ein Blatt trocken oder nass, glitschig, frisch, alt, absterbend ist. Die Pflanze als Lebewesen, der Garten als Raum belebter Individuen - da spielt das Mystische schnell hinein, da denken wir vielleicht an die Nymphe Daphne, die auf der Flucht vor einem zudringlichen Liebhaber sich in einen Lorbeerbusch verwandelt. Blicken wir hier also auf verwandelte, verzauberte, in einer unendlich langsamen Bewegung sich befindenden Gegenwelt, die mit menschlichen Begriffen kaum zu Umreißen ist? Ich würde es annehmen und stelle mir vor, langsam in diesen Blätterwäldern zu versinken, deren Haptik und geradezu psychologische Eigenheit Murswiek mit Pinsel und Farbe so hervorragend wiedergibt.

Sophie-Charlotte Bombeck I Kunsthistorikerin und Kuratorin
über Anselma Murswiek

Die Urbanisierung schreitet ungebrochen voran. Damit steigt auch unsere Verantwortung für die Bewahrung von Biodiversität. Die enge Nachbarschaft von Menschen und Natur beinhaltet gleichzeitig eine Beeinträchtigung von Natur, aber auch die Chance, den Zugang zur Natur zu eröffnen und die Stadtnatur als Teil der Lebensqualität noch stärker als bisher bewusst zu machen.


Die Künstlerin Anselma Murswiek beschäftigt sich in ihren malerischen Arbeiten mit den Prozessen des Lebendigen, mit Wachstum und Vitalität. Dabei schafft sie erfahrbare Referenzen zur Realität und zur Natur.
Die Ausstellung Principium Vitale (Lebensprinzip) bewirkt einen Dialog zwischen Natur, Mensch, Kultur und Stadt. Die Werke reizen, bewegen etwas, dass uns als Betrachter*in anspricht, den Blick zurückwirft und uns in einen Bann zieht, uns animiert und atmosphärisch ummantelt. Ein komplexes vernetztes System ineinandergreifender Wirkungen. Dabei wird der Ausstellungsraum zwischen Innen- und Außenwelt zum Seerosengarten und legt die Schnittstelle zwischen privater und öffentlicher Sphäre offen. Die Diskurswelten der Stadt, der Kunst-Natur und des Ausstellungsraumes generieren somit ein permanent anwachsendes Gebilde von Relationen, das sich dynamisch verändert und wächst. Die Vegetation, die den Bildraum restlos einnimmt und die Hinwendung zu einem großen Bildformat, bringt damit ein neues Naturerlebnis und eine uferlose Kunst- Natur in den Centercourt.

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